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(III) 2011 - 50 Jahre bemannte russische Raumfahrt
#1
Eine Rezension
2011 - 50 Jahre bemannte russische Raumfahrt ( III )
Die unbekannten Helden
* zum 24. Oktober *

- Gekürzt -

Ich schreibe, um ihnen, den „unbekannten Helden“, ihren gebührenden Namen zu erhalten.

Am 24. Oktober jeden Jahres gibt es in Baikonur keinen Start und es wird nicht gearbeitet.
An diesem Tag gibt es nur friedliche Stille.
Die Menschen dort gedenken an diesem Tag der Opfer des größten bekannt gewordenen Raketenunfalls – eingegangen in die Geschichte auch unter dem Synonym – das „Nedelin-Desaster“.

Dieses Ereignis, eher - diese Katastrophe-, trug jahrzehntelang den Status „GVS“. Erst 30 Jahre später wurden es mehr oder weniger öffentlich.
Obwohl es den US-Amerikanern nicht gänzlich verborgen blieb, gab es journalistisch erstaunlicherweise kaum Reaktionen.

Vorgeschichte:

G. Kowalski schreibt in seiner „Gagarin-Story“: „Im März 1992 wurde eine Tatsache enthüllt, die zwar einer echten Sensation gleichkommt, aber weder von den Medien noch von der Öffentlichkeit als solche wahrgenommen wurde.
Aus einer Akte des ZK der KPdSU ging hervor, dass Gagarin schon zu einem früheren Zeitpunkt, und zwar vier Monate eher, im Dezember 1960 hätte starten sollen. Das Vorhaben wird als „Aufgabe von besonderer Bedeutung“ hervorgehoben.
Das heißt nicht mehr und nicht weniger, dass die SU die Ära des bemannten Raumfluges erheblich früher einläuten wollte...
Das aber aus diesem (geheimen) Dezember-Termin nichts wurde, ist unser Thema.
Denn eine Woche nach diesem Beschluss kam es zur folgenschwersten Katastrophe.

Im September des Jahres wird Chruschtschow der Prototyp einer Rakete vorgestellt, die genau in sein Konzept passt. Er war begeistert, denn er wollte der UNO-Vollversammlung am 15. Oktober die beispiellose Reduzierung seiner Truppenstärke auf 1,2 Mio Mann verkünden.
Den Kampfkraftverlust hätte eben diese neue Interkontinentale locker ausgeglichen (was natürlich nicht gesagt wurde).
Der Coup mit der Rakete war natürlich erst dann perfekt, nachdem diese erprobt und einsatzbereit war. Verständlich. Deshalb trieb er zur Eile, einer Eile, die Kamanin "verbrecherisch“ bezeichnete. Auf alle und auf alles wurde Druck ausgeübt ... Marschall Nedelin, der vor knapp einem Jahr zum Chef der strat. Raketentruppen ernannt wurde, gab Anfang Oktober grünes Licht für den Erststart am 22. Oktober.
Es ist Michail Jangels neue R-16, die erste strat. Interkontinentale.
Mit 124 t Treibstoff steht sie auf dem neuen Startplatz Nr. 41 , doch zweimal muss der Termin verschoben werden, da Lecks entdeckt wurden.
Der Chef einer der Startmannschaften, Hptm. Pawlow, schilderte später, dass bemerkt wurde, das aus Versorgungsleitungen Treibstoff tropfte. Also wurden die Verbindungsstücke abgedichtet, festgezogen. Dass aber die Flüssigkeit Löcher in die Gummihandschuhe fraß (!) nahm man so hin … Die Leute waren sich der Gefährlichkeit einfach nicht bewusst. Man könnte sagen, so sieht ein Stück russischer Mentalität aus. Eine Aufgabe wird erledigt, es wird nicht hinterfragt oder diskutiert. UDMH ist aber hochgiftig, der Oxidator Salpetersäure 98% hochätzend.
Wie gefährlich das war, erfuhren sie erst später (sehr bemerkenswert!).
Nun, nach Schadensbehebung, wurde der Start neu für den folgenden Tag angesetzt. Doch wieder musste der Count-down unterbrochen werden, da ein Ventil ...nicht in Ordnung war. Um nicht noch mehr Zeit zu verlieren,
befahl Nedel die Schadensbehebung, ohne den Treibstoff zuvor abzupumpen und setzte als entgültigen Starttermin den 24.Oktober fest. Eine fatale Entscheidung! Aber dem politischen Druck konnte sich letztendlich keiner entziehen.
Man war in der Einstundenbereitschaft, als 18:30 die Techniker letzte Hand anlegten.
Von den Verzögerungen genervt, hält sich Nedelin an der Plattform auf und verfolgt die Arbeiten. Keiner der anderen Militärs und Vorgesetzten traut sich deshalb, diesen Bereich zu verlassen und den Bunker aufzusuchen, obwohl sie sehr wohl um die Gefahren wissen.
18:45 verlassen die te. Dienste den Bereich, als Pawlow das typische Geräusch eines startendes Raketenmotors vernimmt und ihm schlagartig bewusst wird: Da ist irgend etwas passiert!
Der Startplatz hüllt sich augenblicklich in Feuer und Rauch. Er erreicht noch, selbst brennend, eine Baracke, kommt als erstes Opfer in ein Krankenhaus, liegt 3 Tage im Koma und verlässt es nach einem Jahr als Letzter. Andere starben in der Zeit an den Verletzungsfolgen Verbrennung und Vergiftung.

Der Untersuchungsbericht der Regierungskommission: Geheime Verschlusssache
Technischer Befund der Kommission zur Aufklärung der Ursachen der Katastrophe mit dem Gerät 8K64 Nr. LD1-ST während seiner Vorbereitung zum Start durch das Truppenteil 11284 am 24. Oktober 1960
...
… erkennt die technischen und menschlichen Ursachen. Es entstand im Steuerungssystem in der Verkettung bei einer Operation durch das unbeabsichtigte Öffnen von Ventilen zum Zünden der zweiten Stufe.
Der mit 3000 m/s austretende Feuerstrahl schneidet die darunter befindliche 1. Stufe förmlich auf. Innerhalb von 90 Sekunden verbrennen die 124 Tonnen Treibstoff.
Der Feuersturm, die giftigen Dämpfe und die ätzenden Komponenten machen jegliches Weglaufen unmöglich. Die genaue Anzahl der Opfer ist bis heute nicht klar. Man findet Zahlen von 92 bis … darunter 57 hohe Militärs. 74 Spezialisten kamen sofort im Feuerball um.
Oltn. Klimow erhielt den Befehl zur Bergung, da er am Nächsten war. Er erkannte, dass nur mit Schutzmasken (!) nichts zu machen war, so musste gewartet werden, bis sich die giftigen Dämpfe verzogen. Er berichtete später, das niemand mehr nach seinem Äußeren erkannt wurde.
Von Marschall Nedelin
wird nur noch der Überrest seines Ordens „Held der Sowjetunion“ gefunden.

Von anderen bleibt nur ein Schatten auf dem Boden, oder können nur noch an Hand des Wohnungsschlüssels identifiziert werden ...

Es stellt sich die Frage nach der Schuld, doch so einfach ist diese nicht zu beantworten.
Nedelin ? Der selbst auf der Rampe noch zwei mal ans Kreml-Telefon gerufen wurde?
Er selbst wusste um die Gefährlichkeit der Arbeit an der vollgetankten Rakete.
Kurz vor der Katastrophe ließ er noch mal den Startplatz durchkämmen und rettete so 100 Personen das Leben.
Konopljow, Chefkonstrukteur des Steuerungssystems, geriet in das Kreuzfeuer, doch er war tot und konnte nicht verantwortlich gemacht werden, falls man das wollte.

Chefkonstrukteur Michail Jangel? Gleichzeitig Technischer Leiter der R-16 Erprobung, der zufällig überlebte, da er zu der Zeit auf eine Zigarette im Bunker war.
Er war es, der dem Kreml den Lagebericht durchgab.
Und Chruschtschow fragte wutentbrannt zurück: Und du, warum hast du überlebt? Unter den Toten sind namhafte Wissenschaftler wie Berlin und Konzewoj...
Schwerverletzt hat auch der Chef des Kosmodroms General Gertschik überlebt.
Michail Jangel hat dieses Trauma, einen Tag vor seinen 49. Geburtstag, nie verwunden und starb einen Tag nach seinem 60. Geburtstag 1971.

Lassen wir noch mal den Zeitzeugen, Hptm. Pawlow, zu Wort kommen. 1990 öffnet er sich in der Krasnaja Swesda:
... Es herrschte aber auf den Startplätzen immer die Atmosphäre, bei der auch kleinste Defekte gründlich untersucht wurden. Nedelin hätte vor die Wahl gestellt, Start oder nicht, immer negativ entschieden, bis zur Klärung. Chefkonstrukteur Jangel verlangte immer Qualitätsarbeit. Irrt sich jemand, wird in jedweder Startphase unterbrochen, so war seine Devise.

Doch bei der R-16 war alles anders. Natürlich war die Arbeit an der betankten Rakete verboten, doch keiner zweifelte am erfolgreichen Start am 24. Oktober.
Im normalen Startzyklus wäre der Fehler im Steuerungssystem nie aufgefallen. Man befand sich aber in der Einstundenbereitschaft nach zwei Abbrüchen. ...
Da das Bordenergiesystem aktiv war, sprach fatalerweise ein ... Ventil der zweiten Stufe an. Ein Sicherungssystem hätte dieses nicht zulassen dürfen.
Bei einer normalen Startvorbereitung wäre dies auch ohne Bedeutung, da die Bordstromversorgung abgeschaltet wäre, der Schaltvorgang somit ohne Wirkung.

Im Finden der Schuldfrage heißt es nun bei Gertschik:
[B]- Hauptschuldig sind der Kalte Krieg, das Wettrüsten und die Psychologie der Abschreckung.
In einer solchen Atmosphäre haben wir gearbeitet, und jeder hat gedacht, dass es in nicht geringem Maße von seiner persönlichen Arbeit, seinem Diensteifer, seiner Initiative und seinem Wissen abhängt, ob der Dritte Weltkrieg abgewendet werden kann, der der Welt mit einer Apokalypse drohte.[/B](G.Kowalski: Die Gagarin-Story)

Damit wurde auch niemand zusätzlich belastet und mit den verbliebenen Spezialisten mussten danach die gesteckten Ziele erreicht werden und wurden auch.
Die Namen der 74 Opfer, der unbekannten Helden, auf der Gedenktafel mit Stand 26.10.1960 sind auf
http://www.peterhall.de/rvsn/disaster/disaster3.html
festgeschrieben und der Nachwelt erhalten.

Das ist aber leider noch nicht der Schlusspunkt.

Auf den Tag genau, drei Jahre nach dem Supergau, am 24. Oktober 1963 kommt es auf dem Kosmodrom zu einem weiteren schweren Unglück.
Bei einem Brand in einem R-9 Raketensilo sterben sieben Techniker .
Ihnen wurde in Baikonur ebenfalls ein Denkmal gesetzt.

Seit dieser Zeit ist der 24. Oktober in Baikonur Gedenktag .

[B]Das alles um die unbekannten Helden bewegte mich, es zusammenfassend aufzuschreiben. Und ich meine, sie, diese Helden, gab es immer wieder!


Herzlichst
Rainer

Quellen
G. Kowalski „Die Gagarin-Story“, neben versch. Wikipedia-Dok. http://www.peterhall.de/index.html,
Auch http://www.russianspaceweb.com/r16.html u.a.
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